Zeitreise durch Bilder von Weiblichkeit

Die syrische Göttin Astarte Den Versuch, die Frage zu beantworten "Was ist eigentlich das (unbeschreiblich) Weibliche?" möchte ich mit zwei Gegenfragen beginnen:
In welchen Formen und Eigenschaften erschienen Bilder vom Frau-Sein über die Jahrtausende und inwiefern können diese Bilder und Berichte uns heutige Frauen in unserem Kraftfeld stärken?

Archetypen und ihr inspirierender Einfluss

Der Schweizer Psychologe und Arzt C.G. Jung prägte erstmals den Begriff "Archetypus". Er versteht darunter innerpsychische Muster, die die menschliche Psyche strukturieren. Während die Archetypen als Verhaltensmuster über Instinkte unser unbewusstes Verhalten innerlich dirigieren, erscheinen sie im außen als visualisierte Objekte, als Symbolbilder. (1) Der Archetypus der "Großen Göttin" erscheint z.B. im Außen sichtbar auf durch die vielfältigen Bilder und Mythen von Göttinnen, die sie in allen Lebensaltern und Bewusstseinsstufen wiederspiegeln - als junges unschuldiges Mädchen, als reife, verführerische Frau, als wissende Alte, die Diesseits und Jenseits verbindet.

Der Ärztin und Jungschen Analytikerin Jean Shinoda Bolen kommt die großartige Leistung zu, die über die griechische Kultur transportierten männlichen und weiblichen Archetypen systematisch und öffentlichkeitswirksam in mehreren verständlichen Büchern bekannt gemacht zu haben. (2)

Wie viele Therapeuten beobachtete sie nämlich, dass sich die vermeintlich längst versunkenen "heidnischen", vom Christentum verteufelten, Göttinnen und Götter höchst wirksam in ihr selbst und ihren Patienten bemerkbar machten. Das Aufscheinen von gesellschaftlich nicht mehr integrierten Lebens-und Handlungsmustern, die ihre Träger mit den gesellschaftlichen Erwartungen Frauen und Männern gegenüber in Konflikt brachten, inspirierte Jean Shinoda Bolen dazu, diese alten Götterbilder wiederzuerwecken und auf höchst passende Weise in die Neuzeit zu übersetzen. Das Ergebnis war und ist verblüffend: Seelische Desorientierung wie Depressionen stellen sich oft bei Frauen (und auch Männern) ein, weil kein passendes Spiegelbild mehr im außen vorhanden ist - weder als individuelles Vorbild innerhalb der Familie, noch auf kollektiver Ebene. Weiterer Pluspunkt der Archetypenlehre: Sie ist kein simples Schubladenschema. Wir leben immer mehrere Archetypen gleichzeitig oder wechseln den eventuell dominierenden Archetyp von Lebensphase zu Lebensphase.

Eine kretische Schlangengöttin In Anlehnung an Bert Hellingers Formel "Anerkennen, was ist" kann Heilung stattfinden, wenn ich das hinter mir liegende und mich irritierende Muster spüre, das eine seelische Zuwendung von mir fordert, und ich dieses anerkenne, indem ich es benenne, achte und integriere.

Zur selben Zeit kam die Frauenforschung ins Rollen und entdeckte Zeugnisse vorpatriarchaler Kulturen, die die meisten Mythen und Geschichte generell in ein anderes Licht rückten. (3) Der dank archetypischer Psychologie (4) ermöglichten Heilung auf individueller Ebene entsprach somit eine Renaissance weiblicher und männlicher Archetypen auf kollektiver Ebene.

Die Vielfalt an Archetypen, festgemacht an den weltweit zahllosen Göttergestalten und Mythen, kann auch "gesunde", sprich noch funktionierende Frauen psychisch nähren und uns dabei ermutigen, stimmige Entwürfe für unseren Lebenstanz zu verwirklichen - jenseits des gesellschaftlichen Klischees "verhaftet dem Jugendwahn bis ins hohe Alter und möglichst pflegeleicht im Umgang".

Der folgende Artikel will schlicht weg Appetit auf das Thema "Weibliche Archetypen" machen. Zur Vertiefung seien die unten aufgeführten Bücher genannt. Ohne auf Männer allgemein ein Feindbild proijezieren zu wollen, könnte auch nicht-fanatischen Feministinnen beim zweiten Blick auf vorchristliche Mythen und Erscheinungsformen von Frauen klar werden: Wir sind immer noch nachhaltig patriarchal deformiert oder, wie es Angelika Aliti in ihren Büchern definiert, "patriarchal verzaubert". (5)

Wegen des immensen Themenumfangs gehe ich ausschnitthaft vor. Meist nehme ich Beispiele aus der griechischen Antike, dem sumerischen Kulturkreis; vereinzelt tauchen Göttinnen aus der ägyptischen Mythologie auf. Pointierte Vergleiche mit unserer Zeit sollen die großen Unterschiede oder Ähnlichkeiten einzelner Frauen-Archetypen einst und heute herausstellen.

A: Die Frau als Sinnbild von Leben und Tod

Die Himmelsgöttin Inanna als Todesgöttin Lilith Das menschliche Denken, unter anderem beeinflusst von sich wiederholenden Naturzyklen, zeigte von Anfang an den Hang, in Analogien zu denken. Denn: Ordnung, die auch hergestellt wird, indem ich zwei ähnliche Phänomene in Beziehung setze, beruhigt! Das Leben wird dann schon nicht mehr so bedrohlich, zumindest dem Anschein nach.

Die Frau gebärt, säugt das Kind und gibt damit Leben. Säugt sie das Kind nicht, stirbt es. Diese Macht über Leben und Tod führte dazu, dass der Mensch das Bedürfnis und die Vorstellung hatte, in diesen Schoß, aus dem er einst herauskam, zurückzugelangen.

Die alten Totengötter sind daher weiblich. Die Unterwelt wird meist als unterirdischer Raum beschrieben, der den weiblichen "Muttercharakter des Enthaltenseins" (6) nachempfindet und imaginiert. Die germanische Todesgöttin namens Hel gehört etymologisch zur Wortwurzel "hel"=bergen, das eine Wortgruppe bildet mit Höhle, hohl, Halle, Hülle, Hülse und Helm. Bei den Christen wurde die Hel zur gar nicht netten "Hölle" degradiert und spiegelt damit die Tendenz der christlichen Religion wieder, Frauen zu dämonisieren. Unser Märchen "Frau Holle" lässt noch die machtvollen Aspekte jener verdrängten Göttin durchschimmern.

Wie wichtig die Integration dieser "Göttin der Tiefe" ist, stellt die Analytikerin Sylvia Brinton-Perera in ihrem Buch "Der Weg zur Göttin der Tiefe" dar. Gerade bei Frauen im mittleren Übergangsalter, das idealerweise in die Integration des Archetyps der weisen, vom Urteil der Männer und anderer Frauen unabhängigen Frau münden soll, beobachtete die Jungsche Psychologin das Auftauchen Ereshkigals, der sumerischen Göttin der Unterwelt. Erwartungsgemäß präsentiert sich Ereshkigal, deren Name "Herrin des großen unteren Ortes" bedeutet, alles andere als ansehnlich-gemütlich. Schlangen umwinden ihren Kopf, ihre Augen lassen jegliches Leben ersterben. Die sich windenden Schlangen und der erschreckende Blick haben übrigens starke Parallelen zu Medusa, der bereits patriarchal domestizierten griechischen Schwester Ereshkigals. (7)

Auf die Ankunft der himmlischen Göttin Inanna, die diese Unterweltsreise freiwillig antritt, reagiert Ereshkigal zunächst zornig, dann destruktiv, schließlich leidend. Am Ende, nachdem ihr der gebührende Respekt und das nötige Mitgefühl erwiesen wurden, lässt Ereshkigal die geläuterte Inanna, welche längst vor Christus drei Tage in der Unterwelt zubrachte - aufgehängt an einem Pfahl - , großzügig aus dem Totenreich ziehen.

Zorn, Depression, Versöhnung markieren auch bei uns Sterblichen den typischen Wechsel in eine neue Lebensphase. Thomas Hanna zitiert eine schöne Bedeutung des Wortes "Alter". (8) 
Die indogermanische Wortwurzel bedeutet "In die Tiefe wachsen". Und darum geht es - ein Leben lang! Immer wieder müssen wir uns schmerzhaften Häutungen unterziehen, die, wenn sie gelingen, uns wie neugeboren in die nächste Lebensphase entlassen. Die Schlange als Inbegriff eines häutungsfähigen Wesens ist nicht umsonst allen matriarchalen Kulturen heilig.

Dass der Archetyp "Ereshkigal" in unserer Psyche immer noch präsent ist, manifestiert sich im folgenden, ungemein sprechenden Traum, zitiert aus dem Buch von Sylvia Brinton-Perera.

"Ich kaure auf einem Bahnsteig der Untergrundbahn und versuche, ein Päckchen Hackfleisch zusammenzukratzen, das mir hinuntergefallen und geplatzt war. In der Nähe ragt eine schwarz gekleidete Riesin auf, ein kaltes sadistisches Weib, das mich beobachtet. Sie ist wie eine Königskobra. Sie hat das unmoralische Gesicht der Dunkelheit. Sie kann alles tun. Sie ist weder am Leben noch an Nettigkeiten interessiert. " (S.39, Brinton-Perera)

Inanna, das pralle lustbetonte Leben ohne schlechtes Gewissen

Die geflügtelte Inanna holt ihren Heros aus dem Berggrab, Abbildung aus Göttner-Abendroth, Die Göttin und ihr Heros An dieser Stelle sei auch gleich Inanna beschrieben, die sumerische Göttin der Liebe und des Krieges, von Himmel und Erde! Diese uns seltsam anmutende Zuständigkeit für entgegengesetzte Bereiche zeugt von einem älteren Bewusstsein, das noch keine Unterscheidung in unserem Sinne kannte. Patriarchale Religionen wie das Judentum und Christentum führten mit der Unterscheidung zwischen Körper und Geist, sakral und profan, Hure und Heilige, eine moralische Etikettierung in gut und schlecht ein.

Aus dem Blickwinkel der "Großen Göttin" gehörte jedoch alles zusammen: Leben und Tod, Krieg und Frieden, Alter und Jugend waren Äußerungsform ein und derselben Großen Göttin. Sie gab Leben, paarte sich lustvoll und konnte aber genauso ohne schlechtes Gewissen zerstörerisch vorgehen. Inanna, deren semitischer Name Ishtar und Astarte war, ist zwar für die Fruchtbarkeit zuständig, jedoch nicht an mütterliche Pflichten gekettet. Sie schwingt unbekümmert ihre Doppelaxt, das Symbol für die Vereinigung von Himmel und Erde, Geist und Materie. Natürlich hat sie mehrere Liebhaber und achtet lustbetont auf die Erfüllung ihrer geschlechtlichen Wünsche. Ihren quietschfidelen Übermut erkennt man an ihren Versen:

"Der Himmel ist mein, die Erde ist mein. Ich, eine Kriegerin, bin ich." ....
"Die Götter sind Spatzen, ich bin ein Falke."
"Die Götter lungern träge herum - ich aber bin eine herrliche wilde Kuh!"
(aus Brinton-Perera, S.23)

Wo findet man bei uns heute noch diesen Archetyp? Zum Beispiel bei kleinen zauberhaften Mädchen vor der Einschulung, die übermütig aufwachen und ausrufen "Bin ich nicht toll?" Auch bei attraktiven selbstbewussten Teenagern, die sich ihrer umwerfenden, noch ungebrochenen erotischen Ausstrahlung erfreuen und diese unbekümmert zur Schau tragen. Was ihre Attraktivität - mit provozierenden Miniröcken, Hüfthosen oder ohne - umso mehr steigert. Die Frauengeneration, die jung in den Siebzigern war, erstmals dank Pille und unbelastet von Aids ihre Lust ungehemmt ausleben konnte, hat vielleicht auch Inannas Präsenz gespürt.

Inanna - die bei den Griechen um die kriegerischen Attribute von Innana beraubt in der Göttin Aphrodite aufgeht - ist meiner Meinung nach auch ein wichtiger Aspekt einer erwachsenen Frau, die zu ihrem leistungs- und gesellschaftsunabhängigen Selbstwert steht und sich nicht restlos in den sozialen Rollen als Chefin, Kollegin, Mutter, Ehefrau, Freundin etc. verliert. Diese "Inannadosis" manifestiert sich auch unterschiedlich in den verschiedenen Nationen: Die Französinnen zum Beispiel haben meiner Ansicht nach von vornherein ein wesentlich besseres Selbstwertgefühl als Frau, das z.B. in dem französischen Film "8 Frauen" hervorragend zur Geltung kommt. In Deutschland, wo die Frau sich deutlich mehr über Leistung definiert, wäre dieser Film nie gedreht worden!

Die frühgeschichtliche Würdigung der Frau als Lebensspenderin

Die überlebensnotwendige Fähigkeit der Frauen, Leben zu schenken und zu erhalten, würdigen die zahlreichen Frauenfigurinen aus einem Zeitraum ab 25.000 vor Christus. Diese frühesten, gesichtslosen Darstellungen von Frauen sind rund, üppig, fruchtbar, ganz im Gegenteil zu heute, wo Frauen möglichst dünn sein und - sofern sie diese Gestalt nicht von Natur aus haben oder erhungern - das Geld zur weiteren Perfektion der Kosmetikindustrie und den Schönheitschirurgen in den Rachen werfen sollen. gebärende Frau aus Chatalhüyük

Die üppigen Frauendarstellungen von Chatal-Hüyük in Südostanatolien (ca. 6000 vor Christus) im Gebiet der heutigen Türkei künden ebenfalls vom elementaren Credo "Ohne Mutter nichts in Butter". Die ausgegrabenen Zeugnisse werden von der inwzischen verstorbenen Archäologin Marija Gimbutas (9) dahingehend interpretiert, dass es in vorpatriarchaler Zeit matrizentrierte, friedlich orientierte Reiche gab. Die mütterliche Abstammung war diejenige, die zählte.

Der weibliche Körper genoss - im Gegensatz zur später patriarchal-religiös geprägten Zeit - als Träger des Lebens religiöse Verehrung und wurde auch in Tänzen gefeiert, die seine lust-und fruchtbarkeitsfördernden Aspekte betonten. Bewusstseinsgeschichtlich ist diese Ära religiös bestimmt von den vielen Gesichtern der "Großen Göttin": Natur und Geist, Erotik und Spiritualität, profan und sakral, jung und alt waren keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern vorübergehende zyklische Äußerungsformen ein- und derselben Göttin.

Matriarchale Mythen, soweit sie rekonstruierbar sind (10), weisen eine Perspektive auf, die aus weiblicher Sicht als allumfassend und fließend, männlich betrachtet als nicht greifbar und undifferenziert erscheint. Die große Göttin zeigt sich als junges Mädchen, als verführerische, reife und alte Frau. Sie nährt sich und andere, kämpft, paart sich, gebärt und verschlingt. Der Mann taucht auf als Sohngeliebter der Göttin, der alljährlich im Frühjahr geboren wird und im Herbst sterben muss.

In einer Zeit, in der es eben nicht sicher war, ob die nächste Ernte auch gut ausfallen wird, stellten für ein archaisches Bewusstsein Opfer das gängige Mittel dar, die Götter und Göttinnen gnädig zu stimmen. "Wir geben dir etwas, dann gib du uns gutes Wetter". Mit der Zeit entwickelten sich dann aus Menschenopfern Tieropfer.

Analog dazu war die Große Dreifaltige Göttin die allerhöchste Instanz, die über ihre Hohepriesterin die jeweiligen männlichen Könige als abhängige kurzfristige Stellvertreter im Frühling inthronisierte und im Herbst wieder absetzte, indem der König der Göttin geopfert wurde (12). Dieser Jahres-König paarte sich im Frühling mit der Hohepriesterin und garantierte so auf der Ebene des vegetativen Lebens die Fruchtbarkeit. (11)

Spielten in einer eventuell vorpatriarchalen Zeit die Frauen die erste Geige?

Das historische Gesetz "Ein Extrem folgt auf das andere" lässt diese Schlussfolgerung zumindest nicht abwegig erscheinen.
Patriarchale Religionen wie das Judentum, der Islam und das Christentum ähneln sich bei allen Unterschieden darin, eine Spaltung hinsichtlich rein und unrein, Sinnlich-und Geistigkeit, gut und böse vollzogen zu haben. "Teile und herrsche" ist die neue Devise, mit der die Welt und auch die Frau effektiv erobert, verwaltet und unterdrückt werden. Gott ist nur noch männlich und rein, die Frau - als sexuelles und menstruierendes Wesen - böse und unrein. Sie muss früh verheiratet, sprich aufgeräumt werden und ist nur als Mutter zahlreicher Söhne gesellschaftlich akzeptiert.
Das Christentum bietet der Frau noch eine weitere Daseinsberechtigung: als geschlechtslose Nonne mit abrasierten Haaren hinter Klostermauern, verheiratet mit dem dauerhaft abwesenden Bräutigam Jesus. Ausgerechnet der Religionsgründer, der angeblich mit Frauen so gar nichts am Hut hatte, bekommt auf Erden das größte Harem! Da muss selbst Mohammed vor Neid erblassen.

Mehr zum Thema pro und contra matriarchale Forschung findet sich demnächst auf einer hier anzuklickenden Extraseite.

Um auf die Frage zurückzukommen, ob die matriarchal organisierten Reiche das friedliche Paradies waren, als das matriarchale Forscherinnen sie gerne ausgeben: Es lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Falls ja, dann müssten laut der Autorin Angelika Aliti die testosterongeplagten Männer zumindest deutlich in Schach gehalten oder gar dezimiert worden sein. Angelika Alitis Beobachtungen von Tierherden und Menschen lässt sie zum Schluss kommen, dass friedliche Gesellschaften eigentlich nur mit einem Minimum an Männern auskommen können. Zu viele Männer auf zu kleinem Raum bringen nur Konkurrenz und Unruhe, die diese durch Beherrschung und Bekämpfung anderer kompensieren. Oder die Gesellschaft muss ein Domestiezierungssystem entwickeln, das von den Männern akzeptiert wird. So interpretiert Angelika Aliti lustigerweise die vielen tibetischen Klöster als erfolgreich installiertes Modell für ihre Frage "Wohin mit den vielen Männern?"! "Ab ins Kloster und sie geben Ruhe!" Wie der Dalai Lama wohl zu dieser These sagen würde? ....

Klöster kommen heute als Ort der Sozialisation nicht mehr in Frage. Trotzdem wird in nächster Zeit - soll die Menschheit und die Erde überleben - das Problem zu bewältigen sein, inwiefern ein global ausbeutender, rein profitorientierter Egoismus (Extremform des Kapitalismus) weltweit einer sozial orientierten Grundhaltung weichen wird. Im Trend als Form von theoretischen Büchern liegen bei uns Titel wie "Emotionale Intelligenz" und das "LoLa-Prinzip", die unter anderem nahelegen: Sollte die bislang unterentwickelte soziale Kompetenz für die Männer nicht die größte Herausforderung der Zukunft sein ?

Frauen früher und heute in ihrem nährenden Aspekt : Demeter

Der nährende, mütterliche Charakterzug und seine Schattenseite, das Depressive, Nicht-Loslassende, Zerstörerische entwickelt sich, versehen mit größerer Differenzierung, bei den Griechen zu Demeter, der Göttin der Kornfelder und des Wachstums. Schon in ihrem Namen klingt das Mütterliche durch (meter von mater=materia=Mutter).

Demeterfrauen finden nach Jean Shinoda Bolen ihre Erfüllung darin, andere körperlich, emotional und/oder geistig zu nähren. Insofern ist er auch immer in jeder "warmherzigen" Lehrerin präsent, der es nicht nur um bloße Infovermittlung geht. Weiterhin findet sich dieser Archetyp neben seiner Erfüllung als Mutter in vielen sozialen Berufen, bei dem das Helfen eine Rolle spielt. Kann diese Frau aus welchen Gründen auch immer diesen Archetyp nicht mehr ausleben oder kann sie ehemalige Klientinnen, Schülerinnen nicht loslassen, läuft sie bei Fixierung an diesen Archetyp Gefahr, wie die Göttin Demeter aus ihrem tiefen Gefühl der Sinnlosigkeit heraus eine Depression zu erleiden.

Die Opfervariante ist verknüpft mit einer - wenn auch oft unbewussten - Tätervariante: Aus der liebevoll nährenden kann aus großem Frust heraus unter Umständen eine rachsüchtige zerstörende Mutter werden. "Wenn du dich von den mütterlichen Vorstellungen entfernst, trifft dich mein Bannfluch".

Im griechischen Mythos verliert die Göttin ihre Tochter auf gewaltsame, äußerst unfaire Weise. Die Göttermachos Zeus und sein Bruder Hades rauben Demeters Tochter Persephone, ohne diese oder ihre Mutter um Zustimmung zu bitten. Hades bricht aus dem Erdreich empor, entführt die völlig überraschte Persephone und macht sie zu seiner Frau. Demeter akzeptiert diese Ungerechtigkeit nicht und macht sich zusammen mit der Göttin der Dunkelheit, Hekate, auf, um die Wahrheit herauszufinden. Wie so oft ist die Wahrheit zunächst im Dunkeln, verborgen und unliebsam... Nachdem Demter sich dann bis zum Äußersten entschlossen mit den Göttern auseinandergesetzt hat, erkämpft sie sich ihr Recht, ihre Tochter drei Viertel des Jahres bei sich behalten zu dürfen.

Interessanterweise war der Demeter-Archetyp in der Antike ein zwar wichtiger, aber nicht der dominante Frauen-Archetyp. Es ist auffallend, dass antike Frauenstatuen höchst selten mit Kindern versehen sind. Göttinnen wie Athene, Hestia, Hera, Artemis u.a. illustrieren, dass das Frauenbild in der Antike - ungeachtet der realen rechtlichen Benachteiligung von Frauen! - weitaus vielfältiger war als im späteren Christentum.

Das Christentum förderte die Demeter-Seite der Frauen extrem: Maria und das Jesuskind werden bis zum Umfallen bildlich thematisiert! Ist es nicht praktisch, die Frauen mit vielen Kindern beschäftigt zu wissen, am Herd Mahlzeiten bereitend, die der Familie zu Gute kommen? Bis in den sechziger Jahren hatte dieser Archetyp regelrechte Hochkonjunktur. Der Pakt: Frau, du nährst physisch und psychisch Mann und Kind, dafür wirst du mehr oder weniger gut materiell versorgt.

Und heute? Um Demeterfrauen steht es eher nicht gut, sofern sie nicht durch eigenes Vermögen oder ihren (noch) vorhandenen Ehemann abgesichert sind. In der Berufswelt wird die Demeterfrau als Kindergärtnerin, Pflegerin, Krankenschwester etc. sowieso unterbezahlt. Ist sie Mutter, stellt sie fest, dass sie finanziell wieder die Dumme ist. Das Kindergeld ist weit davon entfernt , die Mehrkosten eines Kindes aufzufangen. Noch gibt es Zuschüsse für alleinerziehende Mütter. Bei der Haushaltslage muss man sich jedoch fragen, wie lange noch. Und wie sieht es im Alter aus?

Frauen, die sich entschließen bzw. entschlossen, nicht den erforderlichen Spagat zwischen Beruf und Familie zu leisten und wegen der Kindererziehung zu Hause zu bleiben, bekommen für diese Leistung sagenhafte 28 Euro Rente pro Kind monatlich vom Staat zugebilligt. Irre, was? Und das in einer Zeit, in der das Lebensmodell "Ehe" finanziell und real am Untergehen ist. Und dann wagen es Regierungsbeauftragte seit geraumer Zeit, die deutsche Kinderarmut zu beklagen. Und machen zusätzlich die gewollt oder ungewollt kinderlosen Frauen zu Dummen, die keine Kinder haben. Die sollen dann mehr Beiträge in die längst marode Rentenkasse einzahlen. Diese Zustände müssten längst bei uns dazu geführt haben, dass sich ein Archetyp in uns Frauen zu Wort meldet, der löwenhaft aufbegehrt und keinerlei Zugeständnisse mehr macht, Sekhmet, die Göttin mit dem Löwenkopf.

Sekhmet oder Schluss-Aus-Nikolaus

Die altägyptische Göttin Sekhmet trägt wie viele ägyptische Gottheiten einen Tierkopf als Attribut ihrer großen, ursprünglichen Stärke. Interessanterweise haben alle griechischen Gottheiten Menschenköpfe, sind also der "Tiernatur" im Menschen ein Stück weiter entfremdet. Anders Sekhmet: bedenkenlos stürzt sie sich als Göttin des Zorns und des Friedens auf Angreifer und Missetäter.

die Göttin Sekhmet, Abbildung aus Göttner-Abendroth In der ägyptischen Mythologie gilt Sekhmet als eine der mächtigsten Göttinnen; ihr wurden die größten und imposantesten Statuen geweiht. Neben ihrer Eigenschaft als Kriegsgöttin war sie zuständig für die Heilkunst. Wenn sie ihren berechtigten Zorn entfaltete, war nichts und niemand mehr sicher vor ihr. Nur mit einem Zaubertrank, in unserer Zeit einem Psychopharmakon vergleichbar, konnte man sie ruhigstellen.

Shinoda Bolen beobachtet Sekhmet bei oft älteren Frauen, die oft in extrem patriarchalen oder fundamentalistisch-religiösen Familien aufwuchsen, und nach jahrzehntelanger seelischer Unterdrückung und Depressionen mit einem irrsinnigen Ausbruch erstmals ihr seelisches Leid kundtun.

Aber auch Frauen aus weniger traumatischen Familien spüren Sehkhmet : beim unermüdlichen Kampf gegen ungerechte, aber mit Worten nicht zu ändernde Umstände, bei dem plötzlich das Gefühl entsteht "Gebe ich meiner Wut nach, werde ich verrückt". Die Kunst besteht darin, die alles überrollende Sekhmet in ein Gremium anderer Gottheiten miteinzubinden, so dass die Wut nicht unterdrückt, aber so kanalisiert wird, dass die betroffene Frau den Archetyp als wandelnde Kraft in ihrer Psyche nutzen und von ihr nicht verschlungen wird.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass in einigen Jahren Sekhmet Hochkonjunktur haben könnte. Wenn die Rententöpfe leer, die Leistungen der Krankenkassen vollends geschrumpft sind, der Unterschied zwischen Arm und Reich weiter zugenommen hat und die Bürger vielleicht begreifen, dass sie über Jahrzehnte über die wahren Verhältnisse belogen worden sind. Aber vielleicht verhelfen den bislang ratlosen PolitikerInnen ja noch andere Archetypen zu produktiveren Lösungen!

Zusammenfassung

Im ersten Teil dieser Übersicht über weibliche Archetypen habe ich bewusst Göttinnen gewählt, die über ein natürliches gesundes Aggressions- und Durchsetzungspotential verfügen. Die noch nicht der christlichen Masche erlegen waren "Frauen, seid einfach nur nett und pflegeleicht".

Der noch folgende 2. Teil hat u.a. Frauen in ihrem Weisheitsaspekt zum Thema. Wer schon längst auf die Information gewartet hat, dass die Frauen auch "männliche" Archetypen aufweisen, sei an das ebenfalls hervorragende Buch "Götter in jedem Mann" verwiesen. Natürlich haben Frauen auch "männliche" Archetypen, genauso wie Männer bisweilen "weibliche" Seiten haben! Die Darstellung dieser männlichen Archetypen würde jedoch den Rahmen der Artikelfolge vollends sprengen.

Fortsetzung folgt

Anmerkungen:

1: Diese Symbolbilder variieren je nach Kultur und Gesellschaft. So ist zum Beispiel das universale Symbol Drache bei den Chinesen positiv besetzt, bei uns sehr negativ. Darüber hinaus gibt es jedoch universelle Symbole mit annähernd derselben Bedeutung; z.B. das Runde als Sinnbild für Harmonie und Geschlossenheit. zurück zum Text

2 :Von Jean Shinoda Bolen erschienen u.a. "Göttinnen in jeder Frau", "Götter in jedem Mann", "Feuerfrau und Löwenmutter"; zurück zum Text

3: siehe Heide Göttner Abendroth, Die Göttin und ihr Heros, Frauenoffensive; zurück zum Text

4: Siehe auch die zahlreichen Bücher von James Hillman, dem Gründer der Archetypischen Psychologie, u.a. "Am Anfang war das Bild", "Vom Sinn des langen Lebens"; zurück zum Text

5: Angelika Aliti in z.B. "Die wilde Frau", "Der weise Leichtsinn", "Mama ante portas"; zurück zum Text

6: aus Erich Neumann: Die große Mutter, Walter Verlag, S.57; zurück zum Text

7: Siehe Robert Ranke-Graves "Griechische Mythologie", S. 16; zurück zum Text

8: aus Thomas Hanna in "Beweglich sein ein Leben lang"; zurück zum Text

9 :zitiert aus Shinoda Bolen, Feuerfrau und Löwenmutter, S. 46 ff; zurück zum Text

10: Ranke Graves, Griechische Mythologie, S.12 ff; zurück zum Text

11: Eindrucksvoll literarisch verarbeitet ist die Große Göttin im Roman "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimmer Bradley; zurück zum Text

12: Robert Ranke-Graves, S.16