Der Gürtel der Astarte

Dritte Sequenz

Ottilie von Krems schloss kurz die Augen. Dann konzentrierte sie sich auf das Geschnörksel auf der Tafel: war das Mäuschen ohne Punkt jetzt ein weiches G oder ein Rachen H ? Dass der Sprachkurs so anstrengend werden würde, hätte sie nicht gedacht. Seit vielen Jahren hatte sie sich vorgenommen, Arabisch zu lernen. Bald würde ihr Gatte pensioniert sein und sie wollten dann den Nahen Osten bereisen.

Weiterer Grund: es würde sich einfach toll machen, wenn sie im Tanzstudio die DozentInnen aus dem Libanon, Syrien und Ägypten in gepflegtem Arabisch begrüßen könnte. Das hatte Soraya schließlich als Standard vorgegeben und dieses Renommé des Münzberger Studios musste gehalten werden. Es gab inzwischen schon zu viele Konkurrenzstudios in der näheren Umgebung. Jede Schülerin, die zwei Bauchtanzkurse gemacht hatte, glaubt, sie könnte schon zur Studioinhaberin avancieren. Wie frech und respektlos! Und sie hatte vor, dem Münzberger Studio eine weitere unverwechselbare Note zu geben, indem sie Intensivkurse für DIE edle,wahre Stilform dieses Tanzes einrichten wollte: für den Raqs Sharqui. Ottilie von Krems nahm das Wort Bauchtanz nur ungern in den Mund, es hatte etwas Vulgäres. Die Aufmachung der meisten Tänzerinnen hatte sie sowieso schon immer gestört.

Vor zwei Jahren war sie auf die Tanzoffenbarung in Form der in London lebenden phantastischen Tänzerin Fatima Gamal gestoßen. Endlich war keine Puff-Aufmachung auf der Bühne zu sehen! Eine gepflegte Fee schwebte souverän im langen schlitzlosen Glockenrock und dazu passend schlichtem Oberteil über das Parkett. Ottilie war sofort klar: das ist es, was sie seit Jahren gesucht hatte! Sie besuchte fleißig workshops bei Fatima und ihren wenigen zertifizierten Schülerinnen. Bald würde Frau von Krems es auch geschafft haben: das Zertifikat "Raqs Sharqui", das sie dazu berechtigen würde, die Kurse im Studio selbst zu halten. Ihr Ehrgeiz auf diesem Gebiet ließ ein Interesse, den legendären Gürtel zu suchen, gar nicht erst aufkommen - was brauchte es den Gürtel der Astarte, wenn sie die Prinzipien der "floating spine" perfekt umsetzen konnte? Ottilie seufzte ob dieser Vorstellung wohlig auf.

`Frau von Krems, würden Sie bitte weiterlesen?´ Erschrocken fuhr sie aus ihrem Traum hoch. Ach Gott, hamdelüllah - ich bin dran. Sie setzte ihre Lesebrille auf und entzifferte tapfer von rechts nach links lesend das Schriftungeheuer an der Tafel:
`Kachwa hulwa, aha, süßer Kaffee. Dr.Boustanyie, könnten Sie mir bitte erklären, was dieses o mit den zwei Punkten darüber bedeutet?´

`Aber sicher, meine Gnädigste. Ich hatte es eben gesagt. Sie haben wahrschein-lich geistig woanders geweilt. Das ist die Endung für das Weibliche, in einem Nomen oder in einem Adjektiv´.

Der Dozent Hanna Boustanyie schaute fragend in die angestrengten Gesichter seiner sieben Kursteilnehmerinnen. Mitunter fühlte er sich in seiner unendlichen Geduld überstrapaziert, musste er doch laufend feststellen, dass der Ehrgeiz seiner Schülerinnen sehr schnell nachließ und er durch Lob, Geduld und Schmeichelei die Enttäuschten bei Laune halten musste.

Alle Frauen begannen mit großen begeisterten Vorsätzen, schwärmten ihm in den ersten Stunden vor, mit welchem liebenswürdigen, unendlich hilfsbereiten Orientalen sie in Ägypten, Marokko oder Syrien Arabisch sprechen wollten. Darauf folgten zwei Entwicklungsmöglichkei-ten: entweder sie besuchten den Angebeteten oft genug, um zu bemerken, dass die Anziehung schwand, sobald der arabische Prinz witterte, doch nicht geheiratet zu werden und ihre Sprachkenntnisse- vom Horizontalarabisch abgesehen- denkbar gering waren.

Oder der Angebetete kam nach Deutschland, wurde geheiratet und entwickelte sich meist unmittelbar nach der Hochzeit vom feurigen Liebhaber zum anspruchsvollen Macho, der hinten und vorne bedient werden wollte. Auch das ließ das Interesse an der arabischen Sprache denkbar schnell abklingen.

Nur: Dr. Boustanyie war finanziell auf die Sprachkurse angewiesen! Seine Familie, libanesische Christen, hatte während des Bürgerkriegs ihr Vermögen verloren, die monatlichen Überweisungen waren nach und nach ausgeblieben und er - der einst aufgehende Dichterstern am Himmel Beiruts, der in Tübingen und Cambridge studiert hatte - begann, sich mit Übersetzungen und Arabischunterricht durchzuschlagen.

Wie sagten die Engländer ? God bless you, daran musste er sich notgedrungen halten, Gottes Güte offenbarte sich immer in verschlungenen Pfaden! Sein vor Jahren angefangenes Werk über "Libanesische Dichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart" kam nur sehr langsam vorwärts.Was hatte ihm sein Bekannter Nagib, der aus Hebron kam und in Münzberg eine Bauchtanzboutique betrieb, neulich gesagt: er solle sich endlich eine vermögende Deutsche anlachen, z.B. die geschiedene Gattin von Notar Dr. Eberle. Dann könnte er sein epochemachendes Werk schnell vollenden...... Wie geschmacklos! Einfach unter seiner Würde - er wollte sich schließlich nicht von einer Frau aushalten lassen. Jedenfalls nicht, solange seine Übersetzungen und Sprachkurse noch genügend einbrachten.

`Meine Damen, haben Sie die letzten Wörter abgeschrieben? Ich schlage vor, wir lassen die Anstrengungen mit einem Gläschen Tee in der VHS Cafeteria ausklingen´.

Ottilie von Krems lächelte ihn dankbar an.

`Oh, wunderbar, Dr. Boustanyie, ich glaube, wir haben uns heute viele Tässchen verdient! Ich fühle mich geistig völlig ausgelaugt. Übrigens: würden Sie in unserem Tanzstudio einen Vortrag halten über die Tanztraditionen Libanons früher und heute?´

Schwungvoll parkte Margot Dachstein ihren schwarzen Porsche an einer großen Platane. Bin ich hier richtig? ...Krähenwinkel 19, jawohl, dieses moderne Mehrfamilienhaus muss es sein. Bin gespannt, was die Wahrsagerin ablässt! Für 300 Euro, die ich ihr im Voraus überwiesen habe, kann ich einiges erwarten .

Kurz darauf saß sie mit einem goldenen Espressotässchen in der Hand auf einem dunkelvioletten Plüschsofa. Kritisch beäugte Margot die ihr gegenüber sitzende Dame. Mme Halamira war nach dem Akzent zu schließen Französin. Ihre kastanienbraunen Locken wogten um ein ausladendes Decolleté, ein eng sitzendes weinrotes Pannesamtkleid betonte zusätzlich ihre üppige Figur. Mit huldvollem Lächeln tauschte sie mit Margot höfliche Floskeln aus und bat sie darum, ihr Anliegen mitzuteilen.

`Alors, ma chère, isch verstehe. Sie wollen wissen, wo der Gürtel ist. Voyons, voyons...zuerst die Vergangenheite, isch muss gehen in den tünnel...´

Ihre Augen bekamen plötzlich einen leicht entrückten Ausdruck.
`Oh, isch sehe einen Gürtel mit dünklen Münzen. Er ist alte, sehr alte und er ist befestigt an einer Taille, einer schöne Taille von einer schöne Frau, mais isch sehe, die Frau est disparue, oh la la, die Frau ist tote.´

Margot war beeindruckt. Sie hatte Mme Halamira nicht erzählt, dass der Gürtel alt und die Besitzerin des Gürtels, Soraya, gestorben war.

"Und, was sehen Sie noch? Können Sie sehen, wo der Gürtel jetzt ist?"

"Gedulde, ma chère, isch muss misch konzentrieren, oh...... je vois un désert.."

"Frau Halamira, ich verstehe kein Französisch. Könnten Sie bitte auf Deutsch übersetzen"

"Oh, Entschüldigung, isch sehe viel Sand, es muss sein eine Wüste, isch sehe Kamelen und isch sehe einen très bel homme, ohlala, ein sehr schön Mann, er wohnt in eine große Stadt, eine große orientalisch Stadt. Er at etwas zu tün avec le Gürtel, isch bin sischer! Aber isch kann den Gürtel nischt mehr sehen, isch sehe nur Nebel, du bruyard par tout".

Ein Schauder ging durch den Körper von Mme Halamira, sie blinzelte heftig mit den Augen und schaute ihre Kundin fragend an.

"Können Sie etwas mit diese Information anfangen?"

Margot fühlte Ärger in sich hochsteigen.
"Ist das alles, was Sie sehen konnten? Ich finde es offen gestanden etwas wenig für 300 Euro.Ich bin schließlich extra aus Münzberg hergefahren, das sind über 100 Kilometer".

"Tut mir leid, Madame Dachstein. Isch konnte nischt mehr sehen. Isch kann aber reduzieren den Preis, sagen wir 200 Euro."

Mme Halamira öffnete eine Holzkassette und zog 100 Euro raus."Voilà" Margot merkte am Tonfall, dass mit der Wahrsagerin nicht weiter zu verhandeln war, steckte das Geld ein und verabschiedete sich kurzerhand.

Nachdenklich ging sie ins nächstbeste Café und überdachte bei einem Cappuccino, wie sie die dunklen Informationen verwerten konnte.

Tatsache war: Soraya war oft in Syrien und in Damaskus gewesen. Sie hatte archäologische Expeditionen begleitet, zum Teil auch finanziert. Den Gerüchten nach hatte sie den Gürtel bei einer dieser Expeditionen entdeckt. Soraya selbst hatte nie offen geäußert, auf welche Weise sie zu dem Gürtel gekommen war. Insoweit hatten die Aussagen Halamiras einen realistischen Hintergrund, sie konnte eigentlich nur eine Wüste in Syrien und Damaskus gemeint haben. Dieser Schönling war garantiert einer von Sorayas Liebhabern; gab es darunter einen, der mehr über den Gürtel wusste? Hieß das etwa, dass sie nach Damaskus musste?

Resigniert bestellte sie einen Cognac. Allein nach Damaskus, ohne Arabisch zu können...... das war mehr als aussichtslos. Was hatte Elke vorgeschlagen: sie sollte gemeinsam mit anderen nach dem Gürtel suchen.... vielleicht doch keine so schlechte Lösung, zumindest keine schlechte Zwischenlösung. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und rief Dunja an. Dunja war nicht überrascht. Gestern hatte erst Elke angerufen und sie über Margots fanatische Gürtelsuche informiert. Sie vereinbarten einen Termin, um gemeinsam mit Ottilie, Elke und Marlene über das weitere Vorgehen zu sprechen.